Amal Nassar
reportage

Siedlungspolitik Israels Wie palästinensische Christen um ihr Land kämpfen

Stand: 26.04.2024 08:35 Uhr

Familie Nassar besitzt ihr Land seit rund 100 Jahren, frei darauf bewegen können sich die christlichen Palästinenser aber nicht. Israel hat das Land für sich beansprucht - und setzt seinen Anspruch gewaltsam durch.

Um zum Land von Familie Nassar zu fahren, muss man inzwischen weite Wege in Kauf nehmen. Eigentlich ist es eine kurze Strecke, nur ein paar Kilometer von Bethlehem im Westjordanland - aber jetzt haben israelische Soldaten die Straße gesperrt und man braucht etwa eine Stunde mehr, bis man da ist.

Heute kommt Besuch aus Deutschland: eine Delegation des Jerusalemsvereins ist da. Die Organisation der deutschen evangelischen Kirche kümmert sich seit mehr als 170 Jahren um Christen im Heiligen Land. Und auch Familie Nassar ist christlich. Amal Nassar, eine Frau mit Sonnenbrille und schwarzen Haaren, zeigt runter ins Tal.

"Das ist alles mein Land, bis zum Tal. Aber ich kann mich dem nicht nähern", erzählt sie. "Sie richten eine Waffe auf mich. Sie sagen, das ist eine Militärstraße, sie dient der Sicherheit, ich darf hier nicht sein. Ich will aber auf meinem Land arbeiten."

Ein langes Ringen um Grund und Boden

Die Familie hat eine lange Leidensgeschichte, obwohl ihnen das Land seit ziemlich genau 100 Jahren gehört. Amal besitzt Urkunden aus Osmanischer Zeit, aus der britischen Mandatszeit und von der jordanischen Besatzung. Doch im Jahr 1991 wurde erklärt, dass das Land dem Staat Israel gehöre.

Shadin Nassar, Amals Nichte, ist 24 und macht gerade ihren Master in internationalem Recht. Schon als sie ein Kind war, gehörte die Gewalt zu ihrem Leben, erklärt sie: "Ich bin hier auf dem Bauernhof im Schatten der Oliven- und Obstbäume aufgewachsen. Seit ich klein war, bin ich dem ausgesetzt, was es heißt, als Palästinenserin unter der Besatzung zu leben."

Schon früh habe sie erlebt, wie die israelischen Siedlungen gewachsen sind - wobei immer mehr palästinensisches Land enteignet wurde. Und sie habe auch den Kampf ihrer Familie erlebt. Den Kampf um das eigene Land und das Recht, es zu besitzen.

Das Land der Familie Nassar

Seit fast 100 Jahren im Familienbesitz - das Land der Familie Nassar

Fremde Zerstörung auf eigenem Land

Fünf israelische Siedlungen gibt es rings um die 42 Hektar Land, die der Familie Nassar gehören. Und immer wieder gibt es Ärger und Zerstörung. Es gab israelische Anordnungen, Gebäude abzureißen. Im Jahr 2014 wurden rund 1.500 Bäume zerstört - Oliven, Aprikosen und Mandeln, so berichten Shadin und ihre Tante Amal.

Wolfang Schmidt, der Vorsitzende des deutschen Jerusalemsvereins, kennt die Familie seit langem. Bis 2019 war er Propst an der evangelisch-lutherischen Erlöserkirche in Jerusalem. Häufig besuchte er die Familie.

"Es berührt mich jedes Mal sehr, wenn ich höre, wie die Sache sich weiterentwickelt hat. Weil ich mir einfach vorstelle, wie man unter diesen Lebensbedingungen hier überhaupt existieren mag", erklärt Schmidt. "Und täglich mit Übergriffen rechnen zu müssen von Militär und von Siedlern, das stelle ich mir extrem belastend vor."

"Wir weigern uns, Feinde zu sein."

Während es überall im besetzen Westjordanland in diesen Wochen zu Ausbrüchen der Gewalt kommt - mit Toten und Verletzten - setzt Familie Nassar auf gewaltfreien Widerstand. Das Motto der Familie ist in mehreren Sprachen auf einen Stein gemalt: "Wir weigern uns, Feinde zu sein." Seit dem 7. Oktober, dem Tag des Terrorangriffs aus dem Gazastreifen auf Israel, hat sich auch hier bei Bethlehem die Lage verschärft. Immer öfter werden Familienmitglieder von Siedlern und Soldaten bedroht.

Amal Nassar will eigentlich nicht viel über Ihren Glauben sprechen, denn christliche und muslimische Palästinenser litten in ihren Augen gleichermaßen unter der Besatzung. Aber dann sagt sie doch etwas: "Es ist nicht leicht, in Palästina Christ zu sein. Denn immer muss man seine Feinde lieben und ihnen vergeben. Wir müssen immer an das Gute glauben - auch im Angesicht der Gewalt. Es ist nicht leicht ruhig zu bleiben. Aber wir sagen 'Nein'." Niemand könne ihnen ihren starken Glauben nehmen, schließt sie.

Am 2. Juli findet die nächste Runde im Gerichtsstreit um das Land von Familie Nassar statt. Auch an diesem Tag brauchen sie Glaube, Liebe und Hoffnung, sagt Amal zum Abschied.

Jan-Christoph Kitzler, ARD Tel Aviv, tagesschau, 26.04.2024 07:22 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 26. April 2024 um 06:10 Uhr.