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Ursula von der Leyen steht vor Soldaten und einem Panzer.
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EU-Rüstungspolitik Von einer echten Verteidigungsunion weit entfernt

Stand: 06.05.2024 03:56 Uhr

Der Krieg gegen die Ukraine und eine mögliche Trump-Präsidentschaft in den USA machen deutlich: Die EU-Staaten müssen mehr für ihre eigene Verteidigung tun. Doch beim Thema Rüstung mangelt es an Kooperation.

Europa müsse bei der Verteidigung aufwachen, weil Wohlstand und Freiheit von der eigenen Sicherheit abhingen, appellierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kürzlich bei einem Treffen mit Rüstungsvertretern.

Diese Erkenntnis hat es schon kurz nach Beginn des Ukraine-Krieges aufs Papier geschafft. Bei ihrem Gipfel im französischen Versailles bekannten sich die EU-Staats- und Regierungschefs dazu, mehr Verantwortung für die europäische Sicherheit zu übernehmen. Die Verteidigungsausgaben sollten deutlich erhöht, gemeinsame Investitionen in der Verteidigung vorgenommen und strategische Abhängigkeiten abgebaut werden. 

Alte Bestände für die Ukraine, neues Material für die EU

Seit 2022 nun haben die Mitgliedsstaaten ihre eigenen Verteidigungsausgaben nach Angaben der Kommission um 20 Prozent erhöht. Mit der Mitgliedschaft Finnlands und Schwedens in der NATO sind europäische Partner näher zusammengerückt.

Die EU-Staaten unterstützen ebenso die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen Russland. Dafür machten sie Mittel aus der Europäischen Friedensfazilität (EFF) locker, einem Geldtopf außerhalb des EU-Budgets. Noch vor Beginn des Krieges als Krisenfonds angedacht, um Konflikte einzudämmen und Frieden aufrechtzuerhalten, war sein Umfang jedoch viel zu klein, um die gewaltige Aufgabe zu erfüllen, der Ukraine zu helfen. Mehrfach aufgestockt ist er nun seit Bestehen auf rund 17 Milliarden Euro angewachsen. Mit dem Geld aus dem Fonds konnten sich die EU-Staaten neues militärisches Material beschaffen, während sie ihre alten Bestände der Ukraine übergeben haben, bis die Lager weitgehend aufgebraucht waren.

100 Milliarden Euro für Rüstung seit Kriegsbeginn

Je länger der Krieg in der Ukraine dauert, desto mehr brütet Brüssel darüber, wie langfristig der Nachschub organisiert werden kann, aber auch die eigenen Armeen für eine bedrohlichere Sicherheitslage fit gemacht werden. Außerdem fordert die europäische Verteidigungsindustrie Planungssicherheit und es stellt sich die Frage, wie am klügsten eingekauft werden kann. Im März dieses Jahres hat die EU-Kommission dazu ihre europäische Verteidigungsindustrie-Strategie vorgestellt. Sie soll Staaten dazu ermuntern, stärker gemeinsam einzukaufen und dadurch effektiver zu werden, indem Waffensysteme nicht mehr doppelt oder mehrfach besorgt werden. Auch die Ukraine darf sich an diesem Programm beteiligen.

Seit Beginn des Krieges bis zum Juni 2023 haben die EU-Mitgliedsstaaten mehr als 100 Milliarden Euro für Rüstung ausgegeben, rechnet EU-Vizekommissionspräsidentin Margarete Vestager vor. 80 Prozent der Beschaffungen lagen bei Rüstungsfirmen außerhalb der EU, mehr als die Hälfte des Geldes floss in die USA. "Das ist nicht länger nachhaltig, sofern es das jemals war."

In Europa produzierte Waffen einkaufen

Deshalb sollen die Mitgliedsstaaten bis 2035 mehr als die Hälfte ihrer Waffeneinkäufe bei europäischen Rüstungskonzernen vornehmen, ist das erklärte Ziel. Fördern will die EU-Kommission das unter anderem durch bessere steuerliche Voraussetzungen. In Zukunft könnte auch die Europäische Investitionsbank eine wichtigere Rolle spielen, die sich bislang auf Klimaprojekte spezialisiert, aber auch zu einer Art Rüstungsbank werden könnte, die hilft, privates Kapital für die Verteidigung zu gewinnen.

"In unserem neuen Vorschlag für ein europäisches Verteidigungsindustrie-Programm wollen wir zusätzlich 1,5 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt bereitstellen", betont Kommissionspräsidentin von der Leyen. "Wir wissen, dass das funktionieren kann und wir zeigen den Weg hin zu einer souveräneren Union."

Mit dem Geld soll neben gemeinsamen Beschaffungen auch dafür gesorgt werden, dass Lieferketten und Lagerbestände aufrechterhalten werden können. Wenig deutet jedoch darauf hin, dass die EU-Staaten Interesse an diesem Programm haben. Die Sorge besteht, dass damit vor allem französische und deutsche Rüstungsfirmen subventioniert werden, ohne dass die anderen EU-Länder davon angemessen profitieren. Für manche Hauptstädte zieht die EU-Kommission auch mit dem Vorschlag zu viele Kompetenzen nach Brüssel ab.

Forderung nach EU-Verteidigungskommissar

Die Idee, bei der Verteidigung enger zusammenzuarbeiten, gestaltete sich bislang schwierig. Seit 2017 gibt es ein Programm zur Entwicklung gemeinsamer militärischer Fähigkeiten. Es heißt PESCO und schob mehr als 60 gemeinsame Rüstungsprojekte an. Die erhofften Synergieeffekte sind aber weitgehend ausgeblieben.

Nach wie vor ist der Rüstungsmarkt in der EU nämlich stark fragmentiert. Das liegt unter anderem an den verschiedenen rüstungspolitischen Vorstellungen und unterschiedlichen Interessen der Hersteller. Vor allem Frankreich klammert an der Idee, europäisch einzukaufen. Um der Ukraine effektiv und schnell zu helfen, hält Deutschland auch Käufe außerhalb Europas für angebracht - dort, wo Waffen schneller und besser verfügbar sind, zum Beispiel in Südkorea oder den USA.

Auch wenn der Weg zu einer echten Verteidigungsunion ungewiss ist: Eine zunehmend stärkere Rolle spielt Verteidigungspolitik in der EU allemal. Christ- und Sozialdemokraten, Liberale und Grüne greifen das Thema in ihren Wahlkämpfen auf. Prominenteste Forderung ist die nach einem Verteidigungskommissar. In Brüssel bereitet man sich so auch auf eine Zukunft vor, in der die USA als Garant für die europäische Sicherheit ausfallen könnten.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 25. Februar 2024 um 09:43 Uhr.