Björn Höcke, Fraktionsvorsitzender der AfD im Thüringer Landtag

Nordrhein-Westfalen Petition gegen AfD-Politiker Höcke: Wirklich eine gute Idee?

Stand: 01.02.2024 15:35 Uhr

Kann die am Donnerstag eingereichte Petition gegen AfD-Mann Björn Höcke zum Entzug von Grundrechten Erfolg haben? Wie sinnvoll ist das? Was dafür spricht und was dagegen.

Von Jörn Seidel

Etwa 1,7 Millionen Menschen haben eine Petition unterzeichnet, die fordert, dem Thüringer AfD-Partei- und Fraktionschef Björn Höcke einen Teil seiner Grundrechte zu entziehen. Am Donnerstag ist die Petition mehreren Bundestagsabgeordneten von Grünen und Linken übergeben worden. Derweil hat die AfD in Umfragen immer noch viel Zustimmung.

Kann ein Antrag auf Grundrechtsverwirkung gegen Höcke tatsächlich Erfolg haben? Ist der Versuch überhaupt angemessen oder eher ein Zeichen politischer Schwäche von Gegnern der AfD? Was bedeutet eine Grundrechtsverwirkung überhaupt? Fragen und Antworten.

Die in Teilen rechtsextremistische AfD erlebt in Umfragen derzeit mal wieder einen Höhenflug. Bei vielen ist die Sorge groß, dass sich das auch in Wahlergebnissen niederschlägt. Im Juni wird das Europäische Parlament neu gewählt. Im September sind Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg.

Sänger Udo Lindenberg in Nahaufnahme mit einem Hut, ohne Sonnenbrille.

Sänger Udo Lindenberg

Hunderttausende Menschen zieht es in diesen Wochen auf die Straßen - auch in NRW. Sie demonstrieren gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Demokratiefeindlichkeit und viele auch gegen die AfD. Im am Donnerstag erschienenen "Stern" rufen Prominente wie Helene Fischer und Udo Lindenberg zum Kampf gegen Rechtsextremismus auf.

Gleichzeitig wird im Politikbetrieb heiß diskutiert, ob und wie man rechtlich gegen die AfD und ihre mögliche demokratiefeindliche Einflussnahme vorgehen könnte. Sollten dem AfD-Politiker Höcke teilweise die Grundrechte entzogen werden, wie es die Petition der Kampagnen-Plattform Campact fordert? Muss das Bundesverfassungsgericht besser geschützt werden? Braucht es ein Parteiverbotsverfahren? Oder einen Ausschluss der AfD von der staatlichen Finanzierung?

Die Möglichkeit des Grundrechte-Entzugs ist im Grundgesetz-Artikel 18 geregelt. Danach können Grundrechte verwirkt werden, wenn man Rechte wie die freie Meinungsäußerung "zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht". Dazu kann auch gehören, dass man nicht mehr bei einer Wahl kandidieren darf. Das ist das erklärte Ziel der Petition gegen Höcke.

Bestimmte Grundrechte entziehen kann ausschließlich das Bundesverfassungsgericht. Es muss dafür ein eigenes Verfahren durchführen, in dem der oder die Betroffene angehört wird. Ein Antrag auf Grundrechtsverwirkung kann nur vom Bundestag, von der Bundesregierung oder von einer Landesregierung gestellt werden. Die Verwirkung von Grundrechten kann befristet werden. Sie muss aber mindestens ein Jahr dauern.

Nie wieder Weltkrieg, nie wieder Holocaust - mit diesem Vorsatz haben die Gründungsväter und -mütter der Bundesrepublik Deutschland das Grundgesetz formuliert. "'Nie wieder' ist jetzt", sagte die Auschwitz-Überlebende Eva Szepesi am Mittwoch in der Holocaust-Gedenkstunde im Bundestag. Denn die Shoa habe nicht mit Auschwitz begonnen. "Sie begann mit dem Schweigen und dem Wegschauen der Gesellschaft."

Damit es beim "Nie wieder" bleibt, "liegen in der Verfassung die Waffen zur Verteidigung von Demokratie und Rechtsstaat", sagte Heribert Prantl, einst Richter und aktuell Autor der "Süddeutschen Zeitung", vergangene Woche dem WDR. Eine solche Waffe sei die "Grundrechtsentziehung für politische Anführer". Vor dem historischen Hintergrund müsse diese auch tatsächlich angewandt werden, meint er.

So sehen es auch die Unterzeichner der Petition gegen Höcke. Der AfD-Politiker sei "ein wahrhaft gefährlicher Feind der freiheitlichen Demokratie", heißt es darin. 

Prof. Dr. Fabian Wittreck im Porträt

Fabian Wittreck, Rechtswissenschaftler

Der Antrag auf Grundrechte-Entzug könne durchaus Erfolg haben, glaubt Fabian Wittreck, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Münster. Denn Höcke überschreite die Grenzen dessen, was das Grundgesetz erlaube, sagte er im Januar dem WDR. 

"Gerade seine Äußerungen zu einer völkischen Ordnung und seine Äußerungen dazu, Menschen Staatsangehörigkeit abzuerkennen, sie letztlich zu deportieren, die überschreiten meines Erachtens diese Grenze. Von daher wäre das Verfahren aussichtsreich."

Bislang habe das Bundesverfassungsgericht in lediglich vier Fällen einen Grundrechtsentzug geprüft, sagte ARD-Rechtsexperte Max Brauer im Interview bei Cosmo. Dabei ging es zum Beispiel um einen ehemaligen Wehrmachtsoffizier und einen rechtsextremen Verleger. Beide seien aber als politisch zu bedeutungslos angesehen worden, so Brauer. Bei Höcke wäre das anders.

Höcke ist nicht nur politisch bedeutsam, sondern taucht auch besonders oft im Bericht des thüringischen Verfassungsschutzes auf. Die Behörde stuft die Landes-AfD als "gesichert rechtsextremistische Bestrebung" ein.

"Das klingt so ein bisschen wie ein schlechter Verlierer", sagte zu einem möglichen AfD-Parteiverbot ein Teilnehmer einer Bonner Demo gegen Rechtsextremismus vor wenigen Tagen dem WDR. Weil man die AfD politisch nicht besiegen könne, versuche man, sie juristisch zu besiegen.

Diesen Eindruck dürfte so mancher auch bei der Petition gegen Höcke haben. Zum Beispiel Professor Christian von Coelln, Direktor des Instituts für Deutsches und Europäisches Wissenschaftsrecht der Uni Köln. Es gelte die "alte" und "richtige" Erkenntnis, dass eine "juristische Bekämpfung" keinen "politischen Meinungskampf" ersetzen könne, schreibt er im Online-Magazin Verfassungsblog.

Ein Antrag auf Grundrechtsverwirkung für Höcke hält von Coelln für aussichtslos. Sein wichtigstes Argument: Die AfD sei keine verbotene Partei. Und da sich Höcke "mit allgemein erlaubten Mitteln" in und für diese Partei engagiere, dürften ihm keine Rechtsnachteile entstehen.

"Anders wären Fälle zu beurteilen, in denen die Aktivitäten eines Mitglieds oder gar Funktionärs mit der Parteiarbeit nichts zu tun haben oder sich deutlich von der Parteilinie unterscheiden", schreibt der Rechtswissenschaftler. Das sei bei Höcke aber nicht zu erkennen. Im Gegenteil: Er sei in Thüringen Partei- und Fraktionsvorsitzender. Partei und Höcke seien quasi eins. 

Die Petition gegen Höcke und ein mögliches Verfahren zu einer Grundrechtsverwirkung könnten somit nach hinten losgehen, meint von Coelln. Sie "drohen das Gegenteil dessen zu bewirken, was eigentlich angestrebt wurde".

Für die Thüringen-Wahl im September käme ein Antrag auf Grundrechtsentziehung für den Spitzenkandidaten Höcke wohl ohnehin zu spät. "In der Vergangenheit haben solche Verfahren mehrere Jahre gedauert", sagt Max Bauer von der ARD-Rechtsredaktion.

Unsere Quellen:

  • Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland
  • WDR-Interview mit Journalist Heribert Prantl
  • ARD-Rechtsexperte Max Brauer im Cosmo-Interview und bei tagesschau.de
  • WDR-Interview mit Rechtswissenschaftler Fabien Wittreck
  • Rechtswissenschaftler Christian von Coelln im Online-Magazin Verfassungsblog
  • Nachrichtenagentur dpa
  • Verfassungsschutzbericht 2021 Freistaat Thüringen

Über dieses Thema berichten wir am 01.02.2024 auch in der "Aktuellen Stunde" im WDR Fernsehen.